Von der Pflicht zur Kür …

von Parallelwelten und exponentieller Zunahme, von Bürden und Basis – und mehr: Auch die Pensions-Akademie präsentierte sich auf ihrer jüngsten Fachtagung virtuell und band die Online-Gäste mit interaktiven TED-Umfragen aktiv ein. Mit dem ESG Pensions Award 2021 wurde außerdem eine Pensionskasse gekürt, die sich der Nachhaltigkeit lange verpflichtet fühlt. Frank G. Vogel berichtet.

Warnung vor der Parallelwelt

Bettina Stark-Watzinger, MdB und Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten, nimmt sich der betrieblichen Altersversorgung und der Rentenpolitik hierzulande sowie des Themas Nachhaltigkeit an. Ihr Tenor:

Bettina Stark-Watzinger, FDP. Foto: Tobias Koch.

Wenn offenkundig die derzeitige Rentenpolitik und das gesetzliche Umlageverfahren absehbar an demografische Grenzen stoßen, muss die bAV verstärkt werden, bestenfalls durch mehr kapitalgedeckte Modelle. Diesbezüglich verweist Stark-Watzinger auf das schwedische Modell und fordert mehr Dynamik in der deutschen Renten- und bAV-Politik. Denn trotz durchaus akzeptabler Durchdringungsquote sind die eingezahlten Beiträge insgesamt noch zu gering, um später breiten Arbeitnehmerschichten eine gute Versorgung zu ermöglichen.

Und auch wenn sie dem BRSG „noble Absichten“ zubilligt, fehle es punktuell noch. Dazu zählt sie Beitragszusagen ohne Arbeitgeber-Haftung bzw. Tarifbindung und schlussendlich den Wegfall der Doppelverbeitragung in der Krankenversicherung in der Auszahlphase, wenn in der Einzahlphase bereits geleistet wurde.Zudem warnt die FDP-Politikerin vor der Erschaffung einer „Parallelwelt“ in der bAV im Zuge einer Fixierung auf das Sozialpartnermodell. Prinzipiell fordert Stark-Watzinger mehr mutige Schritte, gerade beim Thema Nachhaltigkeit, denn „Innovation ist der beste Klimaschutz.“ Hierbei kann und soll nach ihrer Auffassung „der Finanzsektor einen wichtigen Beitrag leisten.“

EbAV vor exponentieller Pflichten-Zunahme

Georg Thurnes.

Allerdings wird es für die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) möglicherweise schwieriger, die geforderten „mutigen Schritte“ auch zu gehen. Denn zunehmender regulatorischer Druck und administrativer Aufwand stellen die EbAV weiterhin vor enorme Herausforderungen und Aufwendungen, wie Georg Thurnes von der aba/Thurnes bAV GmbH in seinem Vortrag zur Agenda der bAV ab 2021 konstatiert.

Der Aktuar sieht eine „exponentielle Zunahme“ an Reportingpflichten in den kommenden Zeiten, wobei dem Thema Nachhaltigkeit besondere Komplexität zukommt.

 

Quelle: Thurnes bAV GmbH. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

Nichtdestotrotz betont Thurnes, dass es die primäre Aufgabe der EbAV eben bleiben sollte, Versorgungsleistungen für Millionen Beschäftigte zu erbringen – und eben nicht, zunehmend administrative Auflagen zu stemmen.

PSV: Absicherung und Vertrauen schaffen

Hans H. Melchiors, Vorstand PSV.

Die aktuelle Situation der Insolvenzsicherung einschließlich der neuen Regelungen für Pensionskassen sowie Schätzungen der Auswirkungen im Zuge der Corona-Pandemie dokumentiert Hans H. Melchiors vom Pensions-Sicherungs-Verein aG:

Nachdem die Insolvenzquote bereits 2020 deutlich gestiegen war und mit 1,5 Mrd. Euro den höchsten Regulierungswert seit 2009 erforderte, erwartet der PSV für 2021 weiterhin ein hohes Schadenvolumen.

Dabei wird einerseits in einigen Branchen von vielen Insolvenzen mit höheren Verpflichtungen ausgegangen. Andererseits weisen von der Corona-Pandemie stark betroffene Branchen wie Gastronomie, Tourismus, Kultur oder Einzelhandel traditionell eher eine niedrigere insolvenzgeschützte bAV auf.

Quelle: PSVaG. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

Melchiors betont angesichts dieser Szenarien die bedeutsame Rolle, die dem PSV gerade in Krisenzeiten als bedeutsames Instrument für die Sicherung von Versorgungsansprüchen von Millionen Arbeitnehmern und deren Vertrauen in die bAV zukommt.

CTAs im Wechselspiel von Möglichkeiten … und Meinungen

Marco Arteaga, DLA Piper.

Mit welch überaus komplexen Fragen und durchaus auch kontrovers zu sehenden Antworten sich die bAV beschäftigen kann, zeigt Marco Arteaga von DLA Piper in seinem Vortrag „Die Rückübertragung von Treuhandvermögen aus einem CTA“:

Planvermögen kam ursprünglich in den 80er Jahren zuerst in den USA bei den dortigen Pensionsfonds auf. Sie erhielten vom Arbeitgeber Vermögen, und nur daraus wurde eine Versorgung gebildet – der Arbeitgeber war mit der Dotierung des Pensionsfonds die Verpflichtung vollständig los. Deshalb wurden Vermögen und Verbindlichkeiten beim Arbeitgeber saldiert.

Auch in Europa ließ IAS 19.8 später die Saldierung von Planvermögen und Pensionsverpflichtungen zu – auch wenn eine Schuldbefreiung des Arbeitgebers gar nicht eintritt.

Deshalb kritisiert Arteaga das unwiderrufliche Parken von Geldern in CTAs, da häufig große Geldbeträge blockiert werden, obwohl die Haftung für die bAV beim Unternehmen verbleibt. Allerdings stößt sein Fachvortrag durchaus auf andere Meinungen auf dem Parkett und trägt damit vielleicht zu einer wichtigen Diskussion bei.

Details wichtiger als Gesamteindruck

Frank Diesterhöft, Insight Investment.

Frank Diesterhöft von Insight Investment startet seinen Vortrag „Lessons learned in 2020“ mit dem Blick auf den Wirecard-Skandal und auf verschiedene ESG-Ratings:

Denn obwohl bei dem ehemaligen DAX-Unternehmen schon länger etwas im Argen lag, spiegelten nicht alle Ratings dies ausreichend wider. Das lag laut Diesterhöft daran, dass vornehmlich das Gesamtergebnis betrachtet wurde, nicht aber Details ausreichend analysiert wurden. Somit kam dem Punkt „Governance“ bei der Wirecard-Analyse oft eine gleich hohe Bedeutung zu wie Enviroment beziehungsweise Social.

Quelle: Insight Investment. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

Die Folgen sind bekannt. Diesterhöfts Fazit: ESG-Risikofaktoren müssen in einer Bewertung Branchenspezifika berücksichtigen, und größere Risiken müssen qualitativ auch höher gewichtet werden.

Bürde statt Basis

Ewald Stephan, hier auf der Vorjahresveranstaltung.

Beim Thema „Nachhaltigkeit – Pflicht- und Kürprogramm für Pensionskassen“ verweist Ewald Stephan, Assekurata Solutions GmbH, auf das komplexe Zusammenspiel der mittlerweile zahlreichen unterschiedlichsten regulatorischen Anforderungen und bezeichnet die EU-Transparenzverordnung als den Schlüsselpunkt für die EbAV – hier scheint es geboten, durch eine aktive Gestaltung einer eigenen Nachhaltigkeitsstrategie in den Unternehmen künftigen Vorgaben des Gesetzgebers, die sich bereits im „BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken“ abzeichnen, zuvorzukommen.

Ebenso verweist Stephan auf den GDV-Vorstoß, alle Kapitalanlagen der Versicherungsbranche bis 2050 klimaneutral zu gestalten. Seine Empfehlung ist deutlich:

Nachhaltigkeit sollte von den EbAV nicht als Bürde, sondern als Basis für viele Chancen betrachtet werden. Dabei können eigene Werte und Prinzipien eingebracht und somit mehr Glaubwürdigkeit für die eigene Governance sowie höhere Mehrwerte generiert werden.

Wie weit die EbAV dabei ins Detail gehen, ist ihnen überlassen. Beispielhaft führt Johannes Laubach, MACS Energy & Water, aus, wie viel CO2 in Anleihen, Real Assets & Co. steckt. Einer der vorgestellten Ansätze zur Messung von Treibhausgasen folgt dabei einem Bottom-up-Modell, bei dem basierend auf physikalischen Projektdaten oder Energielabels recht genaue Ergebnisse erzielt werden können.

Demgegenüber stellt eine Top-down-Methodik eher eine universelle Betrachtungsweise in punkto Klimabilanz dar, die auch bei unbekanntem Finanzierungszweck angewendet werden kann.

Unabhängig von der Messmethode macht Laubach jedoch deutlich, dass es im Hinblick auf den Klimaschutz noch ein weiter Weg ist. Denn während eigentlich zum Erreichen der Pariser Klimaschutzziele Treibhausgas-Emissionsminderungen um ca. 7% jährlich notwendig wären, zeigte das Beispiel einer Bankanleihe von 2017 bis 2019 gerade einmal einen durchschnittlichen jährlichen Rückgang von 2,3 Prozent.

Pamela Villanueva, Swiss Life Asset Managers. Foto Hernán Amenábar.

Auch Pamela Villanueva, Head ESG bei Swiss Life Asset Managers in Deutschland, widmet sich dem Komplex ESG und präsentiert einen praxisorientierten Ansatz im Bereich Real Estate.

Auf Konzernebene wurden neun strategische Prinzipien für die ESG-Integration und deren Wesentlichkeit über alle Anlageklassen hinweg entwickelt. Hierbei werden generationenübergreifende Verantwortung, treuhänderische Pflichten und aktive Verantwortungsübernahme miteinander verknüpft.

Denn – in gewissem Sinne – analog zur bAV wächst auch im Gebäudesektor der regulatorische Druck seitens des Gesetzgebers bzw. der EU. Zudem lastet seit diesem Jahr die CO2-Bepreisung für Wärme auf der Branche. Um allen Aspekten gerecht zu werden, wird derzeit eine spezielle „Roadmap zur Dekarbonisierung“ (bis zum Jahr 2050) von Swiss Life Asset Managers in Deutschland entwickelt.

Zu guter Letzt tritt Volker Weber von Nixdorf Kapital an, um darzulegen, wie nachhaltige Geldanlagen dank Impact Investing vielfältig und erfolgreich realisiert werden können.

Neben der Anlegerrendite aus nachhaltigen Investments verweist Weber auf eine zusätzliche „Umweltrendite“. Schließlich können klimafreundliche/nachhaltige Portfolios sozusagen auch für bessere Luft sorgen. Denn laut Berechnungen von Adelphi Consult werden pro 10.000 Euro Anlagekapital im nachhaltigen Portfolio Treibhausgasemissionen in Höhe von 2,64 Tonnen verzeichnet. Bei konventionellen Portfolios hingegen beträgt der Vergleichswert 4,51 Tonnen.

Weber rechnet vor: Gesetzt dem Fall, diese Differenz von rund 1,9 Tonnen gelte vergleichbar für alle nachhaltigen Geldanlagen, deren Volumen Weber in seiner Präsentation für Deutschland auf rund 270 Milliarden Euro taxierte, würde sich die entsprechende Einsparung an Treibhausgasemissionen auf ca. 51,3 Millionen Tonnen summieren.

 

Der ESG Pensions Award 2021

 

Silke Stremlau, Hannoversche Kassen.

Zu einem abschließenden Höhepunkt avanciert die Verleihung des ESG Pensions Award 2021 einschließlich Laudatio und Interview mit den Preisträgern. In diesem Jahr werden die Hannoverschen Kassen für ihre herausragenden und innovativen Leistungen ausgezeichnet. Als mittelgroße Pensionskasse agiert sie als EbAV seit Jahren ambitioniert und transparent in Sachen Nachhaltigkeit – und das ganz ohne Regulierungsdruck, sondern aus sich heraus.

 

Vorstand Silke Stremlau (für die es laut der Laudatio von Vorjahrespreisträger Stephan „Grenzen der Nachhaltigkeit offenbar nicht gibt“) in ihrer Dankesrede:

„Wir fühlen uns sehr geehrt durch den Preis der Pensions-Akademie und bestätigt in unserem Tun, konsequent Nachhaltigkeit in die Kapitalanlage einzubeziehen. Wir erleben es als klaren Auftrag unserer Mitglieder, an der Transformation unserer Wirtschaft durch unsere Investitionen mitzuwirken. Und auch wenn das in Zeiten einer Niedrigzinsepoche nicht immer einfach ist, ist es für uns der einzig gangbare Weg. Wir sind durch den Preis höchst motiviert, auch in Zukunft zu versuchen, die Messlatte immer wieder höher zu hängen.“