Am 10. März war es soweit: Die Offenlegungs-Verordnung ist in Kraft getreten. Aber ist es nun der erwartet große Meilenstein, hin zu sozialer und nachhaltiger Finanzwirtschaft? Oder nur ein weiterer Klotz am Bein auf dem immer schwieriger werdenden Weg zu ausreichender Rendite? Prof. Christina E. Bannier und Christoph Otten werfen einen Blick auf die Rahmenbedingungen, unter welchen diese junge Regulierung ihre ersten Schritte geht. Ist es überhaupt möglich, dass sie die erhofften Effekte bringt?
Mit der Offenlegungs-Verordnung (nachfolgend VO) werden Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater dazu verpflichtet, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen transparent zu machen, einerseits auf der Unternehmens-, andererseits auf der Produktebene.
Auf der Produktebene jedoch begegnet auch der vorbildlichste Finanzmarktteilnehmer Grenzen, die er selbst nicht auflösen kann.
Auf der Unternehmensebene sind die Anforderungen zwar umfangreich, aber durchaus realistisch erfüllbar. Denn hier können die Unternehmen das Heft selbst in die Hand nehmen und anhand eigener Analysen und kreativer Lösungsfindung den durch die VO vorgegebenen Weg beschreiten. Es liegt in ihrer freien Verantwortung, (1) Strategien zu entwickeln, um Nachhaltigkeitsauswirkungen ihrer Investitionen festzustellen und (2) potentielle negative Konsequenzen im Risikomanagement zu berücksichtigen. Ebenso steht es ihnen frei, wie sie (3) eine Vergütungspolitik implementieren, die Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigt.
Auf der Produktebene jedoch begegnet auch der vorbildlichste Finanzmarktteilnehmer Grenzen, die er selbst nicht auflösen kann. Grundsätzlich klassifiziert die VO zwischen drei Kategorien von Produkten. Das sind zum einen Produkte nach Artikel 8, welche in ihren Ausprägungen Aspekte von E (Environment) oder S (Social) berücksichtigen; zum anderen Produkte nach Artikel 9, welche ein konkretes Nachhaltigkeitsziel formulieren. Und zu guter Letzt alle anderen Produkte, die keine dieser Aspekte berücksichtigen.
Wo kommen die Informationen her?
Um aber nach diesem Schema klassifizieren zu können, benötigen Emittenten und Vertreiber von Finanzprodukten entsprechende Informationen. Genau hier liegt das Problem. Betrachten wir bspw. einen Fonds mit verschiedenen Aktien. Hinter jeder Aktie steht eine Firma. Es sind also Informationen bezüglich der Nachhaltigkeit jeder einzelnen Firma in diesem Fonds notwendig, um den Fonds entsprechend der VO ausweisen zu können. Es drängt sich unweigerlich die Frage auf, woher diese Informationen kommen können und wie sie einzuordnen sind. Um das zu verstehen, müssen wir uns zwei Sachverhalte etwas genauer anschauen:
Zum einen die eigentliche Idee nachhaltiger Finanzwirtschaft und die Rolle der Finanzinstitute. Zum anderen die flankierenden Regularien, die zum Teil schon in Kraft sind, oder bald kommen werden.
Eingriff in den natürlichen Kapitalfluss
Im Wirtschaftskreislauf dienen die Finanzmarktakteure als Intermediäre. Über sie werden die finanziellen Mittel verteilt. Im klassischen Sinne folgen Kapitalströme einer Kombination von hoher Rendite und geringem Risiko. Diese Kombination wird über die Idee der nachhaltigen Finanzwirtschaft um den Faktor Nachhaltigkeit erweitert. Der Regulator greift also in den „natürlichen“ Kapitalfluss ein und nutzt die zentrale Funktion der Finanzinstitute, um Investmentströme in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu lenken.
Die fehlenden Standards führen unweigerlich zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Berichtsformate.
Um dies tun zu können, muss aber definiert sein, welche Tätigkeiten nachhaltig sind und welche nicht. Ein großer Schritt in diese Richtung wurde bereits 2017 über die Corporate Social Responsibility-Richtlinie gemacht, kurz CSR. Sie verpflichtet große börsengelistete Unternehmen in der EU im Rahmen ihrer jährlichen Berichtspflichten auch eine nicht-finanzielle Erklärung abzugeben. Diese soll die Nachhaltigkeitsfürsorge der Firmen transparent machen. So muss bspw. veröffentlicht werden, wie die Firma mit Umweltangelegenheiten umgeht oder welche Maßnahmen hinsichtlich Arbeitsschutz getroffen werden. Ein solcher „Öko-Bericht“ kann dann von den Finanzmarktteilnehmern aufgegriffen und bewertet werden. Auf diese Weise sollte es also möglich sein, ein Unternehmen im Sinne der VO zu klassifizieren und Finanzprodukte herzustellen, welche die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.
Eine Frage der Aussagekraft
Allerdings sind die derzeitigen „Öko-Berichte“ nicht so aussagekräftig, wie man es sich wünschen würde. Das liegt vor allem daran, dass die CSR-Richtlinie zwar qualitative Standards setzt, dies allerdings nur in einem sehr vage formulierten Rahmen. So werden lediglich Aussagen zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, sowie zur Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption und Bestechung verlangt. Über eine verbale Erläuterung hinaus erfordert die Richtlinie keinerlei quantitative Mess- und Bewertungskriterien. Es gibt also kein allgemeingültiges Muster. In Anbetracht des unterschiedlichen gesellschaftlichen Verständnisses zu bspw. Umwelt-, Arbeitsschutz und Gleichberechtigung führen diese fehlenden Standards unweigerlich zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Berichtsformate.
Zwischenzeitlich haben verschiedene private Agenturen damit begonnen, diese Standardisierungs-Lücke zu füllen, und ihre eigenen Rahmenwerke am Markt platziert. Firmen können diese Rahmenwerke nun für ihren Öko-Bericht nutzen, entsprechend befüllen und somit auf vergleichsweise einfache Art und Weise ihre Nachhaltigkeitsbemühungen ausweisen. Das ist sicherlich ein guter weiterer Schritt.
Heterogene Rahmenwerke …
Aufgrund der Vielzahl von existierenden Rahmenwerken stellt man für den Moment dennoch eine große Heterogenität fest. Und die Frage, welches dieser Rahmenwerke die Nachhaltigkeitswirkung verlässlich ausweist, ist sicherlich nicht abschließend bewertbar.
Doch auch hier hat die Privatwirtschaft schon weitergedacht. Ratingagenturen mit speziellem Fokus auf Nachhaltigkeitskriterien werten die Berichte der Firmen aus und stellen die Ergebnisse dann in Form eines Ratings den Finanzmarktteilnehmern zur Verfügung. Diese Ratings bilden dann die Basis für die Bewertung der einzelnen Firmen in den Systemen der Banken.
… heterogene Ratings
Jedoch: Die Konstruktion der Ratings ist ebenso heterogen wie die Rahmenwerke selbst. Zu besonders großen Unterschieden in den Rating-Urteilen führt die Tatsache, dass Informationen zu den jeweiligen ESG-Kriterien unterschiedlich gewichtet werden. Das wiederum führt dazu, dass selbst größte Umweltsünder gute Nachhaltigkeitsratings erhalten können, wenn soziale Kriterien oder Aspekte nachhaltig ausgelegter Unternehmensführung übergewichtet werden. Dem Verbraucher – also demjenigen, der das vermeintlich ökologisch nachhaltige Finanzprodukt kauft – ist es nahezu unmöglich, solche Abwägungen und ihre Effekte auf das Rating nachzuvollziehen.
Hinzu kommt, dass unterschiedliche Ratingagenturen somit auch zu unterschiedlichen Bewertungen des gleichen Unternehmens kommen können.1)
Fazit: Richtiger Schritt, noch nicht ausreichend
Die gegenwärtig den Finanzmarktteilnehmern zur Verfügung stehenden Informationen reichen also bei weitem nicht aus, um die Kapitalströme – so wie vom Regulator gewünscht – in nachhaltige Unternehmungen zu lenken. Jüngste Analyseergebnisse zeigen bereits eindeutig in diese Richtung: In der Diskussion um die Einführung eines EU-Ecolabels für Finanzprodukte wurden in der zweiten Jahreshälfte 2020 von 101 untersuchten und als nachhaltig beworbenen Produkten lediglich drei Produkte identifiziert, welche die EU Standards zur Nachhaltigkeit erfüllen würden.2)
Es liegt am Gesetzgeber, die CSR-Richtlinie um eine quantifizierte Methodik zu ergänzen.
Mit Sicherheit ist die Offenlegungsverordnung ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die Finanzmarktteilnehmer sind nun über ihre Berichtspflichten aufgeklärt und haben Prozesse vorbereitet, die notwendigen Informationen zu sammeln und zu entsprechenden Berichten zu verarbeiten. Woran es nach wie vor hakt, sind die Informationen selbst. Die CSR-Richtlinie gibt den Unternehmen zwar vor, was in die unternehmensspezifischen Nachhaltigkeitsberichte einfließen muss, aber nicht wie und in welcher Form. Daher sind die Ratings der Agenturen derzeit sicherlich ein wichtiger Baustein, die Nachhaltigkeitskriterien systematisch zu implementieren. Aber sie lassen noch keine eindeutige und verlässliche Bewertung zu.
In der Konsequenz schlägt dies natürlich auch in die Einordnung der Finanzprodukte durch. Es liegt nun also am Gesetzgeber, die CSR-Richtlinie um eine quantifizierte Methodik zu ergänzen. Erst wenn die einzelnen Firmen ihre Berichte gemäß eines allgemein gültigen Standards formulieren und mittels einheitlicher Kennzahlen unterlegen, ist auch eine Vergleichbarkeit gegeben und somit eine klare Bewertung möglich. Die Veröffentlichung solcher technischen Standards, die in der Taxonomie-Verordnung avisiert werden, ist allerdings erst für Ende 2022 geplant. Bis dahin ist es dem privaten Sektor überlassen, Firmen zu bewerten und diese Informationen bereitzustellen.
Prof. Christina E. Bannier ist Professorin für Banking & Finance an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Leiterin des Sustainable Governance Labs sowie Mitglied im Vorstand der DVFA.
Christoph Otten ist Senior Consultant bei der auf Finanzdienstleistung spezialisierten Unternehmensberatung concedro.
Auch zu lesen unter: https://www.lbav.de/quantifizierte-methodik-wanted/
FN 1) Dorfleitner, G., G. Halbritter und M. Nguyen (2015): Measuring the level and risk of corporate responsibility – An empirical comparison of different ESG rating approaches, Journal of Asset Management 16(7), 450-466; Berg, T., J. Kölbl, R. Rigobon (2019) Aggregate Confusion – The Divergence of ESG Ratings, MIT Sloan School Working Paper 5822-19.